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TAGESTIPP
 

22.02.2021 Entgeltgleichheitsklage - Auskunft über das Vergleichsentgelt - Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit (Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG), begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson, regelmäßig die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigt. Sie erhielt im August 2018 von der Beklagten eine Auskunft nach §§ 10 ff. EntgTranspG, aus der ua. das Vergleichsentgelt der bei der Beklagten beschäftigten männlichen Abteilungsleiter hervorgeht. Angegeben wurde dieses entsprechend den Vorgaben von § 11 Abs. 3 EntgTranspG als "auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median" des durchschnittlichen monatlichen übertariflichen Grundentgelts sowie der übertariflichen Zulage (Median-Entgelte). Das Vergleichsentgelt liegt sowohl beim Grundentgelt als auch bei der Zulage über dem Entgelt der Klägerin. Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - auf Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und der ihr mitgeteilten höheren Median-Entgelte für die Monate August 2018 bis Januar 2019 in Anspruch genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung der Beklagten abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, es lägen schon keine ausreichenden Indizien iSv. § 22 AGG vor, die die Vermutung begründeten, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren habe.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Klage nicht abgewiesen werden. Aus der von der Beklagten erteilten Auskunft ergibt sich das Vergleichsentgelt der maßgeblichen männlichen Vergleichsperson. Nach den Vorgaben des EntgTranspG liegt in der Angabe des Vergleichsentgelts als Median-Entgelt durch einen Arbeitgeber zugleich die Mitteilung der maßgeblichen Vergleichsperson, weil entweder ein konkreter oder ein hypothetischer Beschäftigter des anderen Geschlechts dieses Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeit erhält. Die Klägerin hat gegenüber der ihr von der Beklagten mitgeteilten männlichen Vergleichsperson eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG erfahren, denn ihr Entgelt war geringer als das der Vergleichsperson gezahlte. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts begründet dieser Umstand zugleich die - von der Beklagten widerlegbare - Vermutung, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung "wegen des Geschlechts" erfahren hat. Aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen konnte der Senat nicht entscheiden, ob die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, diese Vermutung den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt hat. Zugleich ist den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen zu geben. Dies führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht.
 
 
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. Januar 2021 - 8 AZR 488/19 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 1. August 2019 - 5 Sa 196/19 -

 
 
Die wesentlichen rechtlichen Vorgaben lauten auszugsweise:

Art. 57 Abs. 1 AEUV:

Jeder Mitgliedstaat stellt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher.

§ 3 EntgTranspG (Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts):

(1) Bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ist eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten.

(2) Eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung liegt vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt auch im Falle eines geringeren Entgelts einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

§ 7 EntgTranspG (Entgeltgleichheitsgebot):

Bei Beschäftigungsverhältnissen darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.

§ 10 EntgTranspG (Individueller Auskunftsanspruch):

(1) Zur Überprüfung der Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots im Sinne dieses Gesetzes haben Beschäftigte einen Auskunftsanspruch nach Maßgabe der §§ 11 bis 16. Dazu haben die Beschäftigten in zumutbarer Weise eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit (Vergleichstätigkeit) zu benennen. Sie können Auskunft zu dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt nach § 5 Absatz 1 und zu bis zu zwei einzelnen Entgeltbestandteilen verlangen.

§ 11 EntgTranspG (Angabe zu Vergleichstätigkeit und Vergleichsentgelt):

(3) Die Auskunftsverpflichtung in Bezug auf das Vergleichsentgelt erstreckt sich auf die Angabe des Entgelts für die Vergleichstätigkeit (Vergleichsentgelt). Das Vergleichsentgelt ist anzugeben als auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts sowie der benannten Entgeltbestandteile, jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr, nach folgenden Vorgaben: …




 

13.01.2021 Vergütung von Leiharbeitnehmern.

Zur Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern durch Tarifvertrag hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet.*

Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), war von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Sie war einem Unternehmen des Einzelhandels für dessen Auslieferungslager als Kommissioniererin überlassen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt einen Stundenlohn von 9,23 Euro brutto.

Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.), dessen Mitglied die Beklagte ist, hat mit mehreren Gewerkschaften des DGB - darunter ver.di - Mantel-, Entgeltrahmen- und Entgelttarifverträge geschlossen, die eine Abweichung von dem in § 8 Abs. 1 AÜG verankerten Grundsatz der Gleichstellung vorsehen, insbesondere auch eine geringere Vergütung als diejenige, die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb erhalten.

Die Klägerin meint, diese Tarifverträge seien mit Unionsrecht (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG) nicht vereinbar. Mit ihrer Klage hat sie für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des Equal Pay verlangt und vorgetragen, vergleichbare Stammarbeitnehmer bei der Entleiherin würden nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet und hätten im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto erhalten. Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit schulde sie nur die für Leiharbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung, Unionsrecht sei nicht verletzt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sieht vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Allerdings gestattet Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des „Gesamtschutzes“ enthält die Richtlinie nicht, sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine „Achtung“ sind im Schrifttum umstritten. Zur Klärung der im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verlangten Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern aufgeworfenen Fragen* hat der Senat entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 267 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung ersucht.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 5 AZR 143/19 (A) -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 7. März 2019 - 5 Sa 230/18 -

* Der genaue Wortlaut der Fragen kann auf der Seite www.bundesarbeitsgericht.de unter dem Menüpunkt „Sitzungsergebnisse“ eingesehen werden.